Wespenalarm!
Morgens um 9!
Ein in Schutznetze eingehüllter Beamter kam mir auf dem Ammeruferweg fuchtelnd entgegen und bat mich, einen großen Umweg zu machen.
Sie würden gerade das Nest aggressiver Wespen ausheben. Es sei zu gefährlich weiter zu gehen.
Ein einheimischer Radler und Grantler protestierte. Das sei doch alles Unfug. Die Ammer flösse durch ein Naturschutzgebiet. Wie könne man da Wespen töten. Der Radler radelte weiter und ich machte einen Umweg.
Ich hatte anscheinend zuviel Respekt vor der wilden Natur!

eingefasst
Mein Weg heute: von Unterammergau nach Garmisch-Partenkirchen. Etwa 21 km.
Trotz Umweg: Oberammergau war schnell erreicht.
Durch die Passionsspiele weltberühmt, ist es in Wahrheit ein eher langweiliger Ort.
Wäre da nicht der bayerische Sinn für Theatralik und barocke Bühnenbilder.
Kaum ein Haus ohne Giebelkreuz.

Grüß Gott
Kaum eine Fassade ohne ausschweifende Bemalung.

Giebel-Kunst
Ich fragte mich, in welche Inszenierung ich da geraten und welche Rolle mir zugedacht war?

Triptichon
Die Jesus Passion als Comic-Strip, Golgotha in die Ammergauer Alpen verlegt. Buben, die vor dem Gekreuzigten Schuhplattler tanzen. Die Monte Pythons hatten bei weitem nicht so viel Phantasie und blasphemische Chuzpe wie bayerische Lüftlmaler und Holzschnitzer.
Nirgendwo feiert sich das bajuwarische Klischee dermaßen ungeniert wie auf diesem Streckenabschnitt meiner Tour.

Gar lustig sind die …Buam
Die Ammer jetzt rauer, nur manchmal hob sich der Nebelschleier und ich konnte ahnen, dass ich durch Gebirge wanderte.

Bach oder Fluss?
Akt II der Inszenierung begann: Kloster Ettal. Eine mächtige Benediktiner-Abtei. Kein Ort der Stille. Japaner und vor allem Chinesen bevölkerten das Areal. Klar gibt es eine berühmte Basilika. Klar ist es ein Wallfahrtsort. Aber was suchen all die Menschenmassen selbst im Nebel hier?
Es ist das Gesamtkunstwerk bayerischer Mönche! Zum Kloster gehören große Bierschenken, Klosterbrauereien, Destillerien und eine Vielzahl von Souvenirläden. Vorgeführt wird das bajuwarische Lebensgefühl und die bayerische Sicht auf die Welt.

Gran Dios
Ich sah mir die Basilika an.

Zangengriff
Erst jetzt, als ich beim Anblick der Kuppelfresken das Wort „grandios“ murmelte, fiel mir etwas auf.
Ich musste verdammt alt werden, um so etwas Simples und Naheliegendes zu bemerken, dass „grandios“ nichts anderes bedeutet als „Großer Gott“ („Gran Dios“). Hijo, warum lauf ich nur so verblödet in der Welt herum.
Hinter dem Kloster folgte der Wanderweg einem alten Saumpfad, dem Kienbergweg. Schon im 14. Jahrhundert eine wichtige, aber auf diesem Abschnitt gefürchtete Handelsverbindung zwischen Venedig und Augsburg. Ein gefährlicher Pfad noch heute. Breit und gut begehbar ist er nur am Anfang. Danach wird er eng, steinig, steil und rutschig.

Go down
Teil III der Inszenierung: der Kreuzweg.
Obwohl hier sicher keine Rentner, nicht einmal im Senioren-Sommer, auch keine Japaner und Chinesen den Hang hinunter rutschen: Es war eine schlichte, aber beeindruckende Via Dolorosa. Ausdruck von Volksfrömmigkeit, die nicht auf das große Publikum zielt.
Aber eine Landschaft, ein versteckter Winkel ohne eine Inflation religiöser Symbole: in Bayern kaum erlebt.

Wieviele Kreuze verträgt eine Landschaft?
Auf halber Strecke ins Tal: ein alter Grabstein.
„Hier starb
mitten in seiner rastlosen Tätigkeit
am 15. August 1875
Herr Franz Xaver Hauser
Steinmetzmeister aus München
geboren am 15. April 1812
Zu Binswang in Tirol.
Er wurde duch das Umstürzen
der zur Oberammergauer Kreuzigungs
Gruppe gehörigen Johanes Figur
deren Transport er leitete
getötet.“

Pech gehabt
Am Ende des Kreuzweges das Loisach-Tal.
Ich konnte die Feld-, Weg- und Fluss-Kreuze nicht mehr zählen, an denen ich heute vorbei gewandert war.

Platzhalter
Nach 6 Stunden Garmisch-Partenkirchen erreicht.

Ludwigstrasse
Die Geschichte fing wieder von vorne an: Hausmalereien, Kreuze, Passionswege, Bajuwaren-Kitsch.

Augen Blick
Ich hatte genug.
Ich setzte mich in ein Lokal und schloss die Augen. Ich wollte keine Dirndl, keinen Janker, Gambsbart, keine Lederhose oder Tracht, keine nach Luft schnappende Touristen und eigentlich überhaupt nichts mehr sehen. Ich war erschöpft.
Hunger: Ochsenbäckchen mit Kohlrabi und Semmelknödeln. 14 Euro. Naja.
Unterkunft: 68 Euro (mit Frühstück).