Jeder Meter, den ich abschritt, atmete Abschied.
An diesem Morgen würde ich auf meiner Grenzwanderung zum letzten Mal die Nordsee sehen.
Nicht dass mich Wehmut ergriff, nach Wochen als Deichwanderer hatte ich Lust auf Neues. Und trotzdem: Es war ein bisschen wie eine Trennung.
Ich war spät losgegangen, Viertel nach 10. Am Emdener Seehafen vorbei lief ich direkt zum Deich.
Die Nordsee wie ein kleiner eingehegter Tümpel. Dollart wird die Bucht genannt. Irgendwo in der Mitte verläuft die (umstrittene?) Grenze zu den Niederlanden.
Ich verharrte kurz, lauschte noch einmal den ans Ufer schwappenden Wellen und genoss das melodielose Schreien der Möwen.
Ich atmete tief durch.
Tschüss!
Der heutige Weg sollte mich entlang der Ems ins Friesenstädtchen Leer führen. Ca. 31 km von meinem Ausgangspunkt entfernt.
Die Ems-Mündung beherbergte einen kleinen etwas heruntergekommenen Kutterhafen. (Wohl der letzte auf meiner Tour).
Auch die Ems war eingedeicht. Der Boden steinhart (die Nächte hatten Minusgrade). Ich sah einige erstarrte und blau angelaufene Regenwürmer auf der Erde. Waren sie erfroren? Ich fragte mich, ob Regenwürmer im Winter mit der Erde zusammen gefrieren?
Und im Frühjahr wieder auftauen?
Mit solch wichtigen Fragen sollte sich mal die Sendung mit der Maus beschäftigen!
(Oder sollte ich Zuhause vielleicht ein Experiment machen: Einen Regenwurm in den Gefrierschrank legen und sehen, ob er nach dem Auftauen wieder schlängelt?)
Der Wind wehte kalt und frontal. Es fiel mir schwer, auf der Deichkante zu marschieren.
Von weitem hörte ich Männer johlen, als wären sie beim Fußballspiel.
Als ich näher kam, sah ich eine Gruppe von Boßlern, die ihren friesischen Nationalsport betrieben.
Ich ließ mir von der Gruppe das Spiel erklären. Genau begriffen habe ich es dennoch nicht. Im Prinzip ist es eine Art Kegeln. Weit-Kegeln. Eine Mannschaft versucht die andere mit der Kugel immer weiter zu treiben. Gewinner ist, wer die längste Strecke bewältigt.
Die Kugel darf nicht vom Weg abkommen. Da das Spiel meist auf verlassenen Landstraßen oder auf Deichwegen gespielt wird, landet die Kugel ziemlich häufig im Graben, im Sielwasser oder im Gebüsch.
Eine lange Stange mit Korb hilft beim Herausfischen.
Da das Spiel sich über Kilometer hinzieht, ist das wichtigste Requisit der kleine Speisewagen!
Gefüllt mit heißem Grog, Tee mit Rum, verschiedenen Schnäpsen, Bier und allerei zum Knabbern.
Auch ich bekam einen Grog ab und ein paar Käsehappen.
Lustige Männerrunde. Außerordentlich sympathische Jungs!
Gestärkt lief ich weiter nach Leer.
Regen setzte ein und gegen 17 Uhr fand ich ein Hotel in der Innenstadt.
Es war schöner Tag gewesen.