Immerhin ein Warn-Stein!
Hier, in diesem Haus hinter dem Stein, wurde nicht der Nationalsozialismus geboren, aber der größte Verbrecher der Neuzeit.
Das Geburtshaus des Großen Diktators scheint weitgehend unbehaust zu sein.
(Wer könnte mit so einem Gespenst zusammen wohnen?)
Die Braunauer tun mir leid. So wie ein Dachauer immer wird begründen müssen, wie er in seiner Stadt mit solch einer Vergangenheit wohnen kann, so werden auch die Braunauer den Spuk niemals los.
Ich fand keinen einzigen Souvenir-Laden in der Stadt. Welches Andenken will man auch hier verkaufen? An was soll man sich hier gern erinnern?
Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so gruselig fühlen würde. Tut mir leid Braunauer, der Abstecher über die Grenze war eine schlechte Idee. Ich will schnell wieder zurück auf die andere Seite.
Auf dem Weg zurück passierte ich noch in Braunau einen Mini-Weihnachtsmarkt. Ein Engerl zwinkerte mir zu, signalisierte, dass er auch schnell weg möchte. Ich nahm in mit. Weil er ein sympathischer österreichischer (rot-weißer / oder besser rosa-weißer) Seraph war.
Namenlos, bei diesem Namen beließ ich es gleich. Ich gebe zu, ich war froh, dass das Engerl in einem Glashaus gefangen war.
Es bestand also keine Gefahr, dass er entfleuchen und irgendeinen Unsinn wie Loisl anstellen konnte. Bei den Österreichern weiß man ja nie.
Und zudem: Er führte ein wenig Schnee mit! Während es draußen so um die 6 bis 8 Grad PLUS waren. Kälte, Schnee, Winter – vielleicht im Himmel. Auf Erden aber nicht.
Seltsame Jahreszeit.
Blühende Landschaften im Dezember:
Braunau lag rasch hinter uns. Auch wenn Namenlos mich ein wenig aufgehalten hatte und ich erst gegen halb neun loskam, hatten wir doch das Ziel bis am Abend in Aigen am Inn zu sein. Schätzungsweise 27 Kilometer.
Noch auf der österreichischen Seite: wunderschöne Innlandschaften, Auen, Schilf. Die Route folgt einem internationalen Fern-Rad-Weg.
Bei Frauenstein bringt mich Namenlos zurück nach Bayern. Empfangen von einem Wegkreuz. Eines von vielen auf meinem Weg.
Sumpf. Kaum begehbare Wege die ersten zwei Kilometer.
Schatten und Original:
Wie viele Kilometer ich dann geradeaus auf dem Damm gehen mußte, erinnere ich nicht mehr. Nur noch daran, wie unendlich anstrengend es ist, sich auf den „rechten“ Weg zu begeben. Wenn das Ziel immer gleich entfernt bleibt, der Horizont sich keinen Millimeter nähert, unendlich unendlich bedeutet. Wieviel motivierender ist es, wenn man Haken schlagen, Umwege laufen kann. Ich glaube, daß die Geometrie irrt, wenn sie behauptet, die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten sei die Gerade. In der Landschaft stimmt das nicht. Der schnellste Weg führt über Umwege. Davon gab es reichlich. So blieb mir nichts anderes übrig, als den Blick nur nicht nach vorn zu richten, sondern ständig meinen Füßen zuzuschauen, wie sie sich selbständig bewegten, einen Schritt vor den andern setzten. Die Gedanken richteten sich nach diesem Rhythmus, ein Gedankensplitter folgte dem andern.
Aber ich will nicht jammern: Stille, nur leichtes Windrauschen, ab und zu das heißere Gekrächze eines Raben oder das Geschnatter einiger Donau-Enten (schmeckt eigentlich Wildenten-Fleisch? Mit Orangensauce?). Ganz nebenbei: Ich bin ornithologisch und – was Natur anbelangt – sprachlich ungebildet. Schnattern eigentlich Enten oder schnattern Gänse oder beide? Krächzen Raben und was machen dann Krähen? Oder Schwäne, Graureiher gar? Es gibt Sprachen, für die noch kein Wörterbuch geschrieben wurde.
Ankunft in Aigen mit „night falls“.
Nette kleine Pension in einem alten Bauernhof. Die Gaststätte füllte sich ab 18 Uhr rasch. Kaum Einheimische. Fast nur Kurgäste. Aus dem 10 Kilometer entfernten Bad Füssing. Der Gasthof war anscheinend berühmt für seine Speisekarte und für zünftige Unterhaltung. Unter den Gästen alles, was einem Pathologen Spaß macht: Fußkranke, Athrotische, Halb-Gelähmte, Schüttelgelähmte, Sprachgelähmte, Krankhaftlacher, Fangoanwender, Berufspensionäre mit eingewickeltem Dackel, alles, nur keine Kassenpatienten. Eine Gaststätte als Sanatorium. Die Gespräche kreisten nicht um Gott und die Welt, sondern ausschließlich um Tod und Kur. Schließlich kam auch noch der ehemalige Pfarrer aus Bad Füssing, der in dieser Gaststätte seinen Lebensabend verbringt und kein Wort spricht. Er ist ja auch nicht mehr im Innen-Dienst.
Ab 19 Uhr dann Volksmusik. Sympathische Dorfband. Schien ein Familienunternehmen zu sein. Bayerische Gassenhauer. Holzfällerbub’n und so weiter. Der ältere Musikant benutzte ein Rhythmus-Instrument, das ich nicht kenne. Eine Art Ratsche? Schnarre?
Durst: Wolferstetter Helles (Traditionsbrauerei aus Vilshofen). Sehr schmackhaft, mit schön dezenter Würze. 2,80 Euro.
Hunger: Gitti’s Bras’l in der Rain / Schwein’s und Surbrat’l mit Semmel- und Kartoffelknödel, dazu Sauerkraut (9,80 Euro). So war’s im Original geschrieben. Und es schmeckte fantastisch. Auf den Punkt gewürzt! Kompliment.
(Surbaten, das hab ich nun gelernt, ist leicht gepökeltes Fleisch.)
Müde und kaputt um 23 Uhr schlafen gelegt. Es war gut, dass Namenlos in seiner Glasglocke blieb. Der österreichische Engel konnte so die kleinen Gemeinheiten des bayerischen Kollegen Loisl gut ignorieren, dem es langsam auf den (Heiligen) Geist ging, ständig die Gosch verbunden zu haben. Er krächzte etwas wie ein heißerer Rabe (?? krächzt der ??).
Unterkunft: 38 Euro ( mit Frühstück).