Ich hatte in der Zeitung gelesen, dass es schneien sollte.
Es kam also nicht überraschend.
Wilhelmshaven tat es wenigstens gut: Die Stadt wechselte die Farbe von grau zu grauweiß. Immerhin.
Mein Hotel grenzte an die Fußgängerzone. Allerwelts-Allerlei-Architektur.
(Wer bringt endlich mal diese Städteplaner vor den Kadi?)
Extrafrüh aufgestanden. Doch ich trödelte beim Frühstück (die redeselige Bedienung war schuld!), so kam ich erst gegen halb neun los. Es wurde gerade hell.
Mein heutiges Ziel: Carolinensiel. 38 km weit weg. Mir war klar, dass es verdammt anstrengend werden würde.
Rutschpartie. In und außerhalb der Stadt.
Die Gehwege meistens geräumt – und deshalb spiegelglatt! Matsch, der sofort überfror.
Unterwegs langweilige Dörfchen, ab und zu mal eine wuchtige Friesenkirche.
Die Felder jetzt vogelleer. Dafür aber lustige Gestalten an Scheunen und auf der Flur.
Mit Selbstauslöser schoss ich ein Foto von mir (Wer knipst mich sonst? Keine Menschenseele unterwegs!).
Irgendwann tauchte Hooksiel auf.
Herausgeputzter kleiner Stadtkern.
Mein Kreislauf bereitete mir Probleme, ich hatte letzte Nacht schlecht geschlafen, auf jeden Fall zu wenig. Ich überhitzte jetzt, das Atmen fiel mir schwer.
Ich beschloss, in eine Gaststätte zu gehen und eine kräftige Suppe zu essen. Obwohl mir eigentlich die Zeit fehlte.
Das Gasthaus: ein Traditionslokal, in dem es einen Stammtisch gab.
Um die Mittagszeit natürlich leer.
(Natürlich? Es war schließlich Samstag! Da wo ich herkomme sind die Stammtische an diesem Wochentag und zu dieser Uhrzeit besetzt!)
Äußerst eigenartig, dass in diesem gutbürgerlichen (was ist das eigentlich?) Lokal ein leicht bekleidetes Pin-up-Girl die Wand zierte.
Hier tritt bestimmt kein Katholik ein, um sein Samstagsbier zu leeren.
Als ich das Restaurant verließ, rief mir jemand zu: „Ist er jetzt vorbei?“
Wer? wollte ich erfahren.
„Der Weltuntergang!“
Peer war Nachtwächter und hatte gestern den Auftrag erhalten, ein Boot im Hooksieler Hafen zu bewachen. Irgendwelche Spinner hatten herumgetönt, dass in der Nacht die Welt untergehen würde (Maya Hokusposkus); und ein paar weitere Esoteriker aus der Gegend – so behauptete der Besitzer – gedachten einen Kutter zu kapern, um ihn als Flucht-Arche zu benutzen.
Weder der Untergang kam vorbei, noch tauchten die befürchteten Spinner auf.
Ja, es ist vorbei! antwortete ich Peer und erlöste ihn. Ich packte ihn in meinen Rucksack (der immer schwerer wurde) und setzte meinen Weg fort.
Es würde ein langer Tag werden!
Schnee, Schneeregen, überfrierende Nässe, ständiges Rutschen auf den spiegelglatten Wander- und Fahrradwegen, Autos, die mich böse anhupten, wenn ich auf den Land-Straßen (die waren gestreut und nicht so rutschig) vor mich hinstapfte und schließlich die Nacht, die unerbittlich bereits am frühen Nachmittag das Licht ausknipste (Viertel vor fünf!). Ab und zu wiesen mir Auto-Scheinwerfer in der Dunkelheit den Weg nach Carolinensiel.
Dort schwamm mir ein beleuchteter Weihnachtsbaum durch den Alten Hafen entgegen.
Ich muss furchtbar ausgesehen haben, als ich nach 38 Kilometern gegen 18 Uhr ausgemergelt, nass, durstig und hungrig an eine Hotelpforte klopfte.
Aber ich war stolz auf mich.
Durst: Jever Bier.
(Gesprochen „Jefer“! Im Friesischen ist ein „v“ ein „f“!)
Habe nicht gezählt, wie oft ich „Jefer“ bestellte.
Hunger: Cordon Bleu von Baby-Steinbutt. Gefüllt mit Räucherlachs und Käse, auf Rucola Spaghetti. Mit gemischtem Salat.
Teuer!
(Gut. Aber die Kombination passte eigentlich nicht wirklich: Parfümierte Spaghetti und Fisch harmonierten nicht.)
Peer machte sich derweil über die erzgebirgischen Nussknacker lustig.
„Invasive Kultur!“ plapperte er.
Wo hatte er das aufgeschnappt?
Unterkunft: 38 Euro (mit Frühstück).