War zeitig aufgebrochen. Gegen halb acht. Schlechtes Wetter war angekündigt und ich wollte ein paar Kilometer machen. Besser laufen, als in einer Stube herum hocken. Ich wusste noch nicht, dass es ein verdammt langer Tag, ein Auf und Ab in den Bergen werden sollte. Bis auf 1.050 Meter gings zeitweilig hoch und gleich wieder rasant bergab. Am Schluss verrückte 37 km bis Mitterfirmiansreut. Die Grenze mit Österreich verlief irgendwo in den Wäldern, ich muste mich stellenweise deutlich von ihr entfernen, um auf gangbaren Wegen zu gehen.


Die Sonne hatte früh am Morgen noch Kraft, die dicken dunklen Wolken zu durchbrechen. Ich fotografierte ein Vogelhäuschen, da ich eine Bewegung bemerkt und eine Kohlmeise darin vermutet hatte. Zu meiner Überraschung fand ich aber eine Hexe! Sie hatte sich im Guckloch des Verschlages mit ihrem Besen verheddert und steckte fest.

Hexenhaus lässt die Hex nicht raus
Ich befreite sie, dachte sie würde sofort auf ihrem Besen „wegreiten“. Aber sie blieb bei mir. Ich wusste nicht, dass Hexen dankbar sein können.
Ich fragte sie nach ihrer Herkunft. Sie sagte, sie wohne normalerweise am Rachel-See, weiter oben im Grenzgebiet zwischen Bayerischem und Böhmischem Wald. (Dorthin will ich auch noch wandern.) Ich fragte sie nach ihrem Namen, aber sie schwieg. Wir bewegten uns im Dreiländereck von Deutschland-Österreich-Tschechien. So beschloss ich, sie die Dreinamenshex zu nennen.
Hexe KittiKattiKatharina
Zu Beginn schritt ich kilometerlange Loipen ab. Normalerweise wird jeder sofort standrechtlich erschossen (oder wenigstens von Jägern aus Versehen), wer diese Heiligtümer des Wintersports mit simplen Wanderstiefeln entweiht. Alle Hundert Meter Verbotsschilder für Fußgänger. Aber es gab eh niemanden, der jetzt sportelte, die Saison beginnt erst in etwa einer Woche. Trotzdem lief ich mit einem schlechten Gewissen die Loipe entlang. Ich bin zu deutsch – ich beachte normalerweise Gesetze. Ich beeilte mich besonders, schnell weiter zu kommen.

Loipe nach Haidmühle

Loipe als Hohle Gasse
KittiKattiKatharina war unterwegs etwas unruhig geworden, hatte irgendeine Fährte aufgenommen und führte mich schließlich zu einer Froststelle, in der wieder einmal einer dieser tollpatschigen Nikoläuse festgefroren saß.

Hexe entdeckt Bofrost Nikolaus
Ich befreite auch ihn (hatte gerade meinen großzügigen Tag) und beschloß, ihn endlich in meine Familie aufzunehmen. Mein Rucksack wurde schwerer und schwerer.
So wie der Tagesverlauf. Geplant war eine Etappe von etwa 20 km. Bis Haidmühle etwa.

Verregnete Ankunft in Haidmühle
Doch dort: Wind, extremer Regen und jede Pension ZU! Die Saison beginnt erst Weihnachten.
Ich lief also weitere 5, 6 Kilometer bis Bischofsreut. Das gleiche Spiel. ALLES ZU!!
Weiter nach Philippsreut. Erneut ALLES ZU!!! Ich klingelte in einer Pension, ein Großmütterchen mit reichlich gebeugtem Kreuz öffnete die Tür, bedauerte dass sie Betriebsferien machten und sagte mir, dass möglicherweise in Mittefirmiansreut noch ein Familienhotel offen hätte. Weitermarsch (noch einmal 5 km) in der Nacht bei Schneeregen und dichtem Nebel.
Irgendwann (gegen 18 Uhr 30 (stockfinster!!!!)) hielt ein gnädiger Autofahrer, bei dem ich mich erkundigte, wo denn GottVerdammtNochmal eine Unterkunft zu finden sei. Der freundliche ältere Niederbayer lotste mich GottSeiGedankt zum einzig offenen Gasthaus im weitläufigen Dorf-Labyrinth und verabredete sich gleich mit mir um 20 Uhr auf ein Bier.
Das Gasthaus war ein Hundehotel, genauer gesagt: ein Familienhotel, in dem Hunde willkommen waren. Sie waren die ersten die mich rudelweise empfingen. Gewöhnungsbedürftig.
Das Hotel bot lediglich Halbpension an, Überraschungsgäste waren eigentlich nicht vorgesehen. Trotzdem wurde ich freundlich aufgenommen und hatte so immerhin die erste Halbpension meines Lebens gebucht. Schlafen mit Abendessen und Frühstück inklusive.
Schlag acht Uhr stand dann mein freundlicher Helfer in der Wohnstube (die hatte das Hundehotel auch!).
Er war Rechtsanwalt, der sowohl in Tschechien als auch in Bayern zugelassen war. Wir plauderten eine Zeit lang über die Nachbarschaftsverhältisse im Dreiländereck. Nach seiner Erfahrung kommen zur Zeit immer mehr Tschechen nach Niederbayern, um business zu machen. Zeitarbeitsfirmen, Autozulieferer und vor allem auch Fremdenverkehr. Sogar einige Gastronomieunternehmen, Hotels und Restaurants seien mittlerweile von Tschechen aufgekauft. Geld sei offenbar vorhanden. Und viele Tschechen kämen auf die niederbayerische Seite, um Urlaub zu machen. Skifahren, Langlauf oder Wandern im Sommer. Außerdem zahlten Tschechen zuverlässiger als seine niederbayerischen Landsleute. Europa wachse sichtlich zusammen.
Zu den Mentalitätsunterschieden befragt, meinte mein heißerkakautrinkender Gast: Tschechen seien Slawen und nie so direkt wie die Deutschen. Direktheit würde sie verletzten. Ihr Stolz sei sehr schnell zu kränken. Nur wer das verstehe, könne ins Geschäft mit ihnen kommen. So gesehen seien die Österreicher mehr Slawen als Deutsche. Auch bei ihnen gäbe es einen spürbar überhöhten Patriotismus; Österreicher seien schnell verletzbar und nie so brutal direkt wie die Deutschen.
Zu guter Letzt kam mein DreiländerExperte noch auf sein Lieblingsthema: Die Logen. Er war davon überzeugt, dass die Welt von geheimen Mächten regiert würde. Von Logen. Schröder (Gazprom), Berlusconi (Medienmogul) – nur zwei Beispiele von Logenmitgliedern, die einen Auftrag zu erfüllen hätten: Die Welt ins Chaos zu stürzen, damit am Ende der Logen-Chef sich als eigentlicher Weltenlenker offenbaren könne. Fast alle wichtigen Orden hätten die Teufelsanbetung als Grundlage. Denn es ginge darum, Gott den Alleinvertretungsanspruch auf Weltherrschaft und damit auf Allmacht zu entreißen. Gott stürze man mit dem Teufel.
Langsam (auch meinem Bierkonsum geschuldet) konnte ich den Argumenten meines DreiländerNiederbayern nicht mehr folgen. Er zählte mir immer mehr verschiedene Logen und Logenmitglieder auf. Auf meinen Einwand, dass, wenn es so viele unterschiedliche Logen gäbe, die allesamt auf die Alleinherrschaft der Welt abzielten, es doch nach Mafia-Manier Revier-Kämpfe untereinander geben müsste – also Morde,Totschlag, Massaker – blieb ihm für Sekunden die Spucke und das Argument weg, dann kam er aber auf den Hexenorden. Und hier war der Punkt, wo ich schließlich aufgab. Ich verabschiedete mich. Und bemerkte, dass KittiKattiKatharina, die ich dazu befragen wollte, längst im Delirium lag.

KittiKattiKatharina übt sich als Schnapsdrossel
Durst: Helles von der Brauerei Lang-Bräu (Freyung im Bayerischen Wald). War nix besonderes. 2,50 Euro.

Hunger:
Champignonschnitzel mit hausgemachten Spätzle. (Preis: Halbpension.)

Essen wie aus der deutschen Pampa/Pampe
(Hier zeigte sich das ganze Desaster deutscher Halbpensionsküche: Ein einziger geschmackloser Mehlbrei. Ich war allerdings zu dankbar, überhaupt eine Unterkunft gefunden zu haben, um mich zu beschweren. Außerdem war der Wirt/Koch überaus nett.)

Meine Rasselbande kurz vor dem Einschlafen
Unterkunft (inklusive Schnitzel und Frühstück (also Halbpension)): 60 Euro.