Anderthalb Stunden benötigte ich mit dem Auto von Stuttgart nach Wissembourg im Elsass: Endpunkt meiner letzten Etappe.
Meine Grenzroute verläuft gerade sehr heimatnah.
In den nächsten Sommerwochen werde ich noch ein paar Tagesausflüge entlang meiner Grenzwanderung unternehmen, bis ich wieder für einen Monat auf „große“ Tour gehen werde.
Halb zwölf war es, als ich vom Wissembourger Bahnhof aufbrach.
Zunächst durch das weitläufige Industriegebiet des Städtchens.

Plastik-Anbau
Mein Tagesziel: der Rhein. Ca. 35 km entfernt.
Gluthitze. Noch war die Landschaft wellig, die Berge des Pfälzer Waldes beinahe in Greifweite.
Und doch fühlte es sich schon nach Rheinebene an. Drückend schwül.

Staubwege
Mais dominiert die Landwirtschaft. Hüben (Frankreich) wie drüben (Deutschland) wächst die Biogaslandwirtschaft und verwandelt frühere Felderkleinstaatlichkeit in monokulturelle Großreiche.

Maismeer
Nur ab und zu ein paar kleine Äcker mit Hopfen. (Bierdurst stellte sich reflexhaft ein!)

Das wird alles mal flüssig!
Die elsässischen Dörfer sehr hübsch, aber menschenleer. Lag es an der Hitze, am Wochenende?

Keimfreie Dörfchen
In so gut wie keinem Ort fand ich einen Laden (ich brauchte dringen Wassernachschub!). Geschweige denn eine Gaststätte.
Also gab es auch keinen Grund für die Bewohner auf die Straße zu gehen.

Pittoresk
Am liebsten hätte ich sofort die Wassertürme an den Ortsrändern geleert.

Schwerpunkt oben
Unterwegs wieder zahlreiche Wegkreuze. Sehr katholisch die Gegend.

Gegen das Vergessen
Inschrift auf diesem Kreuz:
„Errichtet aus Dankbarkeit durch sieben Familien, die in gefahrenvollen Stunden zum gekreuzigten Heiland ihre Zuflucht nahmen. 1944 + 1945. Mein Jesus Barmherzlichkeit“.
Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich auf blutgetränkter Erde wanderte. Deutsch-Französischer Krieg 1870/71, der Erste Weltkrieg 1914-1919 und vor allem der Zweite Weltkrieg mit der deutschen Besatzung und dem „Endkampf“ entlang der Grenze hatten von dieser Gegend einen unglaublichen Blutzoll gefordert.
Und trotzdem. Nicht einmal 7 Jahrzehnte danach: die Feindschaft zwischen Deutschen und Franzosen fast vergessen. Nur noch ein paar Bunkeranlagen erinnern in diesem kleindörflichen Idyll an die Schreckenszeit.
Wie die Artillerieanlage Schoenenburg.
(Sie lag 10 Kilometer westlich meiner Grenzroute – zu weit entfernt für die heutige Tour. Den morgigen Tag – das nahm ich mir vor – würde ich mit dem Auto hinfahren.)

Unverwüstlich
Die Anlage ist Teil der Maginot-Linie, eine Kette von Bunkern zur Verteidigung gegen Nazi-Deutschland.
Ein unterirdisches System von kilometerlangen Gängen verbindet Bunker und Gefechtsstände.

Überdimensioniertes U-Boot
30 Meter unter der Erde, 12 Grad kalt – immer.
Hunderte von Soldaten und Offizieren konnten hier monatelang ohne Kontakt zur Außenwelt überleben.
Telefonstuben.

Fast gemütlich
Großküche.

Schön gekachelt
Vorratskammern mit Eingemachtem.

Eingemachtes
Kleine OP-Zimmerchen.

Das Blut ist weggewischt
Und endlose Versorgungsgänge.

Im Stil einer ägyptischen Grabkammer
Die Festungsanlage Schoenenbourg ist heute ein Museum.
Gegen halb zwei erreichte ich Seebach. Ein langgezogenes Straßendorf – wie die meisten Gemeinden des nördlichen Elsass‘.
Wunderhübsche Fachwerkhäuser.

Bauernhof ohne Misthaufen
Endlich fand ich auch ein offenes Lokal. Das einzige im Dorf.
Im Innenhof eine kleine Terrasse. Biergarten konnte man das nicht nennen. Eine solche pfälzisch/bayerische Tradition gibt es hier nicht. Das war mir schon vor Jahren aufgefallen, als ich öfters das Wochende im Nachbarland verbrachte. Traditionell für das Elsass sind betischte Innenhöfe mit schattenspendenden Sonnenschirmen, aber keine Gärten mit Kastanienbäumen und blanken Biertischen.

Somer in the village
Immerhin: Es gab eine kleine Schenke im Hof.
Witzigerweise mit einem Warnhinweis versehen, dass Alkohol im Übermaß konsumiert die Gesundheit schädige.
(Was ist los mit unseren einst so lebensfreudigen Nachbarn? Warum lassen sie sich jetzt schon den ungebremsten Genuss versauern? Warum so politisch korrekt?)

Trinkspruch
Die hübsche Bedienung (soll ich jetzt korrekterweise und genussvermeidend „Servicekraft“ sagen?) klärte mich auf, dass das Dorffest, das mich eigentlich veranlasst hatte, auf meinem Weg zum Rhein einen langen Umweg über Seebach zu machen, erst am morgigen Sonntag so richtig loslegen würde. (Ich beschloss, dann eben morgen mit dem Auto wiederzukommen).
Die Speisekarte für das traditionelle Fest der „Streisselhochzeit“ war bereits herausgestellt.
Der Saure Pressack köstlich. 10 Euro.
Das Bier (Kronenburg) so kalt, dass ich kaum etwas schmeckte. Egal, ich kühlte mich weiter herunter.
„Streisselhochzeit„
heißt das große jährliche Volksfest in Seebach.
Die Mädchen flochten sich früher bei Hochzeiten Blumensträuße („Streissel“) ins Haar.

Kinder verkleiden sich gern
Das ganze Dorf verkleidet und bei der Prozession zur Kirche.

In Reih und Glied
Stylisch!

Durchblick
Kunstvoll!

Blütenkranz
Polierte Tuba / Poliertes Dorf!

Hinausposaunt
Vornehm!

Festliches Lachen
Herzhaft!

Zicklein-Bärtchen
Würdig!

In die Nähe schweift der Blick
Keck!

Dreh dich nicht um
Blütenaugen!

Jung=alt=jung
Akkurat!

Endlich groß
Biberpels?

Sonnenpelz
Beschattet!

Flügelschlag des Augenblicks
Nicht ganz so traditionell das Publikum!

Junges Dorf
Stimmt nicht!
Er war elegant!

A man has had a hat on his head
Ein Hirte besprühte seine Gänse mit Wasser!

Gänse festlich gekleidet
Wie sehr hätte ich das Nass selbst gebraucht. Es war unerträglich heiß.
In Innenhöfen festlich geschmückte Biertische. Quiche und Flammkuchen die Hauptgerichte. Fast Food auf französisch.

Aufm Hof
Ich zog weiter. Bis zum Rhein war es noch weit.
Straßendorf an Straßendorf reihte sich auf. Und dazwischen immer wieder Maismeere und manchmal auch winzige Ölfelder.
Minipumpen mühten sich.

Tief drinnen ist es klebrig
Auf einem Hinweis-Schild hatte ich unterwegs gelesen, dass im nördliche Elsass so früh wie nirgendwo auf der Welt Erdöl gefördert wurde. Um 1740 holte man bereits das schwarze Gold aus der Erde – zu therapeutischen Zwecken und auch, um Kutschenräder, Fuhrwerke und ähnliches mechanisches Getier zu schmieren. Hier ist die Wiege der Ölindustrie.
Vor einigen Jahrzehnten wurde die industrielle Förderung eingestellt. Erst seit wenigen Jahren laufen kleine Pumpen wieder. Der hohe Ölpreis macht die Arbeit wieder rentabel.
Ziemlich genau um 6 Uhr passierte ich in Lauterbourg die deutsch-französiche Grenze.
Die ehemalige Zollstation als schnuckeliges Kleinmuseum. Einen Zöllner: long time no see!

Gute (?) Alte Zeit
Ich betrat wieder meine liebe Heimat: die Pfalz.

Vom Pfälzerwald zum Schilderwald
Noch zwei Stunden beschwingtes Gehen und ich hatte mein Ziel (bei Neuburg) erreicht: Vater Rhein!

Jump!