Loisl hab ich ihn genannt. Jemand hat mir für die Wanderung einen Schutzengel geschickt, einen weiß-blauen Schluri. Ein anderer Name fiel mir nicht ein. Gabriel, Uriel, Michael: Das klingt so gar nicht nach Bayern. Also: Erzengel Loisl! Ein Schlitzohr, aber netter und geselliger Kerl, mit seltsamen Neigungen allerdings. Doch das sollte ich erst später bemerken.
Loisl will mich heute begleiten, wenn es rüber geht zu den Nachbarn, zu den Österreichern.
Die haben rot-weiß in ihrer Flagge. Da ist weiß-blaue Unterstützung vielleicht nicht das Verkehrteste.
Beim Wandern taumeln mir manchmal die Gedanken weg. So habe ich mich die ganze Wegstrecke über gefragt, ob wir beim Eintritt ins Paradies das Geschlecht verlieren. Und welchen Sinn es dann macht, dass Dschihad-„Märtyrer“ sich ins Elysium zu sprengen (wegen der Jungfrauen, sagen sie), wenn sich – na ja – so gar nichts mehr regt.
Bei Loisl konnte ich das nicht überprüfen. Die Hose ist angewachsen und sie lässt sich nicht lupfen. Oder ist es doch ein Hosenröckchen?
Wenn ich zurück bin, veranlasse ich mal ’ne Röntgenuntersuchung.
Loisl jedenfalls war heute mehr fürs Bummeln als fürs Losmarschieren. Erst um halb neun wollte er starten, über die Grenzbrücke – an seiner Chefin vorbei – ins Österreichische.
Obwohl jetzt beim Nachbarn, ging der Blick erst einmal zurück. Unglaubliches Panorama von BURGhausen.
Loisls Ursprungsidee war, entlang der Salzach nach Braunau zu wandern.
Doch schon nach einem Kilometer war Schluss. Der Weg hörte einfach auf. Fühlte mich wie vor den Kreidefelsen vor Dover.
Ruhepause.
Die Wege in Österreich scheinen nicht so perfekt ausgeschildert wie bei meinen Landsleuten auf der anderen Seite. Alles ein bisschen mehr Laissez-faire. Quer durch den Wald schleppte mich Loisl dann Richtung Hauptstraße. Kein Mensch zu sehen. Der Wald allerdings ein rot-weißes Farbenmeer.
War da die Wehrsportgruppe Österreich unterwegs?
Grenzwertig. So ein zur Schau gestellter Patriotismus wäre auf der deutschen Seite zum Glück unmöglich.
Haben die Österreicher eigentlich auch weltweit die Verbotsschilder und Wegschranken designt?
Kurz vor Verlassen des Waldes war Loisl plötzlich verschwunden. Ich hatte ihn in der Hosentasche mitgeführt. Aber da war er nicht mehr. Hat eben Flügel. (Können Engel eigentlich schneller fliegen als Vögel? Haben sie Wanderrouten? Winterrastplätze?)
Schlug mich von nun an ohne göttlichen Beistand durch, stapfte stundenlang eine langweilige, Gott sei Dank aber wenig befahrene Bundesstraße Richtung Braunau entlang. Ab und zu ein paar Gartenzwerge und Spießerhäuschen.
Ein Weg hinunter zur Salzach gab es nicht. Schließlich ein grandioser Blick von oben: Zusammenfluß Salzach und Inn. Für die Kamera leider zu versuppt.
Ab jetzt ging‘s wieder runter zum Wasser auf den Inn-Damm. Ab und zu Vögel, die sich nicht fotografieren lassen wollten. Waren einfach immer zu weit weg.
Erneut verschätzt. Die Nacht kam schneller als gedacht. Wieder zuviel gelaufen. Schätzungsweise 29 Kilometer. Vermisste meinen Loisl. Die letzt Stunde tat ziemlich weh. Spürte zum ersten Mal eine Blase am rechten Fuß.
In Dunkelheit zur Inn-Staustufe. Um 18 Uhr dann endlich am Ziel: Gasthaus Mayrbräu im Zentrum Braunaus.
Zu meiner Überraschung tauchte plötzlich Loisl wieder auf. Stand vor der Gasthof-Tür, hielt die Hand vor den Mund und druckste verlegen rum.
Ich fuhr ihn barsch an, er solle rausrücken, was los sei und er solle endlich die Hand von der Gosch wegnehmen.
Loisl gestand verschämt, daß er als Tourist zum Geburtshaus des Großen Diktators geflogen war (wohin gar nicht so wenige Deutsche pilgern) und sich entsprechend geschminkt hatte. Sollte ein Witz sein. Ein ziemlich geschmackloser jedenfalls. Er beteuerte, er habe nur Charlie Chaplin nachahmen wollen. Und jetzt bekam er das Oberlippen-Bärtchen nicht mehr ab.
Rot-Weiß und Weiß-Blau gab bekanntlich mal die Farbmischung Braun. Der Große Diktator war österreichischer Bayer oder umgekehrt. Scheint weiterhin Sympathisanten zu haben. Nicht nur durch Österreichs (und auch Deutschlands) Wälder schleichen immer noch einige Braunhemd-Gruppen.
(Hat eigentlich schon mal jemand untersucht, wieso der Große Diktator ausgerechnet die Farbe Braun für seine BRAUNauer-Münchner Bewegung aussuchte? Billige Assoziation mit dem Namen seiner Heimatstadt?)
Loisl schämte sich jedenfalls für den schlechten Schmink-Gag, aber das Bärtchen blieb. Damit ich mit ihm, ohne einen Skandal zu provozieren, ausgehen konnte, mußte ich ihm das Maul samt Oberlippe verbinden.
Durst: Salzburger Stiegl Bier (Goldbräu vom Fass). Allerweltsbier, rasch getrunken, ohne besonderen Nachgeschmack. 3,20 Euro.
Hunger: Wiener Tafelspitz mit Semmelkren, Röstkartoffeln und Marktgemüse. Fleisch: gute Hausmannskost. Röstkartoffeln allerdings wie eingeweicht. Kren (vulgo Meerrettich) zu sanft. Auch Fleisch hätte etwas Meersalz (vielleicht mit Kräutern?) vertragen. Koch hatte Angst vor Schärfe. 14,50 Euro.
Unterkunft: 45 Euro (mit Frühstück).
Was machst Du?….ich lach´mich „scheps“….auf was für Ideen Du beim Wandern kommst…p.s. ich beneide Dich, daß Du laufen kannst…ich habe seit Freitag zwei Krücken:-(
liebe Grüße Gabi
Aber Stefan, jetzt kann Loisl ja nicht mehr Hosianna singen.
Und wo sind eigentlich Seppl und Resi? Noch in Burghausen? Oder ist die Frage zu indiskret?
Ich muß aufpassen, es gibt schon Zoff in der Familie. Muß morgen mal ernsthaft mit Seppl, Reis und Loisl sprechen !